Natürlich würden Simon zwei Kilo weniger Körpergewicht auch am Rad helfen. Nur: Soll er deshalb auf all die Keramiklager verzichten, die ihm nachweislich 15 Watt sparen?
Lasst uns über Simon reden. Simon heißt in Wirklichkeit anders - und das hat einen Grund: Simon ist Teil meiner „Bubble“, wäre also leicht zu identifizieren. Eigentlich wäre das kein Problem: Simon ist ein netter Kerl – und begeisterter Radfahrer.
Allerdings hat er eine nervige Eigenschaft: Er gibt Ratschläge. Ständig und unaufgefordert. Als Frau würde ich „mansplaining“ sagen. Allerdings belehrt – und nervt – Simon geschlechtsneutral.
Was das mit Radfahren zu tun hat? Viel: Simon erklärt am liebsten, was man am Rad alles besser machen könnte. „Am“ bedeutet „auf dem“ – also Tuning. Simon referiert, zeigt – und rechnet vor, wieviel Watt, wie viele Sekunden das Einsparen von soundso viel Gramm pro soundso vielen Kilometern bringt: Er missioniert. Gnadenlos.
Nicht, dass Simon unrecht hätte. Im Gegenteil! Wenn Simon ultraleichte Komponenten lobt, über Hochprofilfelgen, Aero-Laufräder und -rahmen, ultraleichte Naben und bechichtete Ketten jubelt, Reifendimensionen und -gummimischungen besingt, schlackern mir die Ohren. X-Prozent weniger Rollwiderstand bringen Y Prozent Vortrieb:
Bumm! Die paar Gramm bei Flaschenhalter, Steckachse, Sattelrohr, Kurbel und Lenkervorbau ergeben kumuliert … : Oida! In Lenker und Rahmen verlegte Züge, der aerodynamische Halter für den Super-Radcomputer sparen an Luftwiderstand … : Hui!
Simon weiß: Masse fällt nur bergauf oder an bewegten Teilen ins (sic!) Gewicht. Reibung frisst und kostet Energie und Kraft. Darauf gilt es zu achten. Simon achtet. Aber sowas von!
Ich gebe zu: Wenn ich Simons weiß beschichtete Kette und extragroßen Schaltröllchen sehe, hyperventiliere ich. Das macht mich gelb vor Neid. Ab und zu weine ich auch: Simon und ich sind in etwa gleich proportioniert. Manchmal sagt er: „Probier es: Fahr!“
Und – alter Schwede! – nach dem Unterschied, den all das Kleinzeug ausmacht, könnte ich Opern schreiben.
Trotzdem bin ich in normaler Kluft mit normalem Helm auf meinem normalen Straßenrad schneller als er. Denn Simon wiegt 15 Kilo mehr als ich. Lebt, höflich gesagt, „eher undiszipliniert“. Ich spreche das nicht an – Simons Frau schon: „Iss endlich gesund! Finger weg vom Zuckerzeug – da verlierst sofort zwei Kilo! Beim Rad ersparst dir so 2.000 Euro!“, höhnt sie. Simon wird dann grantig.
Ich mische mich nicht ein. Denn Simons Frau hat recht - aber doch den falschen Blickwinkel: Ich esse und lebe zwar gesünder als Simon. Aber wenn ich es mir leisten könnte, sähe mein Rad aus wie seines. Mindestens: Ich wählte nämlich nicht das „oder“, sondern das „und“.
Tom Rottenberg – Rotte – rennt und rollt, wenn er nicht als freier Journalist und PR-Berater arbeitet und sich Gedanken übers Rennen und Rollen, sprich Radfahren, macht.