Zu behaupten, dass es keine Rennrad-Rowdies gibt, wäre gelogen. Und leider werden es gefühlt mehr. Das mathematisch zu relativieren, hilft niemandem. Vielleicht hilft, es manchmal anzusprechen. Ein Versuch, ein unangenehmes Thema in der Rennrad Community zu platzieren.
Mathematisch wäre die Sache leicht erklärt: Der Großteil der Menschen ist gut. Freundlich, höflich, rücksichtsvoll. Auch im Verkehr - unabhängig vom Transportmittel: In der S-Bahn, im Stau auf der Tangente, im SUV, der von hinten anrauscht – oder auf dem Rennrad: 85, 90, 95 vielleicht sogar 99 Prozent verhalten sich absolut korrekt.
Wie viele wirklich? Egal. Man vergisst sie sofort. Im Gegensatz zu den anderen: Den Nahtod-Überholern. Den zu Laut-Telefonierern. Den Rettungsgassen-Befahrern. Aber auch den Rennradlern, die sich wochenends am Donaukanal oder auf der Donauinsel ihr - vermeintliches – Recht auf 35 km/h drängelnd, schneidend und schimpfend durch Spaziergängergruppen erpöbeln wollen.
Rennradlern tut das, was jetzt kommt, weh. Aber: Ja es gibt diese „Kollegen“ (selten „-innen“). Und: ja, sie werden mehr. Auch wenn sich das „Bubble“-Bewusstsein, das „Wir“-Gefühl, sträubt: Das gute R(ennr)ad steht nicht für den guten Charakter des Fahrers. Vielleicht war das früher anders, aber in jeder Gruppe gilt: Je mehr sie „in der Mitte der Gesellschaft“ ankommt, umso repräsentativer für diese Gesellschaft werden die Akteure. Das Rennrad hat die Mitte erreicht.
Darum: Ja, es gibt sie, die Ich-bin-der-Nabel-des-Universums-Fahrer. Die „Gleicheren“. Die, für die durch soziale Intelligenz nachvollziehbare Regeln nicht gelten. Ihr Fahrstil zeigt, wer und was sie sind: Ärsche auf Rädern. Nicht nur im wörtlichen Sinn. Leute, mit denen man weder mitgenannt noch mitgemeint werden will. Aber genau das wird man: „Mit euch Rennradfahrern wird es immer schlimmer.“
Das Blöde: Ganz falsch ist das nicht. Schuld ist die Mathematik: Wächst eine Gruppe, steigt nicht der Anteil aber doch die Anzahl jeder ihrer Teilmengen. Egal wie gut sich also 90, 95 oder sogar 99 Prozent verhalten: Ja, es sind tatsächlich mehr Vollpfosten unterwegs. Dazu kommt: Während Auto-Raser selten auf gemeinsamen Verkehrsflächen mit Fußgängern auftauchen, ist der Rennradler, der Kinder abdrängt, sehr nah, spür- und (beinahe) greifbar.
Was tun? Hm. Schön- und Kleinreden wäre gelogen. Gegen Emotion und Erlebtes sind Mathematik und Statistik sowieso machtlos – und Whataboutismen sind Brandbeschleuniger.
Draußen, auf der Straße, ist das vielleicht anders: Spinner kann man zur Rede stellen - manchmal hilft das sogar. Und Schwächeren mit dreifacher Höflich- und Achtsamkeit begegnen. Gerade Verängstigte bemerken das - und erst wenn sie selbst erzählen, dass es „auch die anderen Rennradler“ gibt, lässt sich das Bild zurechtrücken.
Tom Rottenberg – Rotte – rennt und rollt, wenn er nicht als freier Journalist und PR-Berater arbeitet und sich Gedanken übers Rennen und Rollen, sprich Radfahren, macht.