Was kann ein Fahrrad nach Maß? Warum setzt man auf eine so kleine Nische in einem ohnehin kleinen Markt? Wie entsteht ein Carbon-Rahmen nach Maß? Und wie lange dauert es? Warum kennen so wenige Menschen Sarto Bikes? Was ist der Grund, dass keine Pro-Tour Profis mit Bikes aus dem Hause Sarto Rennen gewinnen? Das und mehr hat Tom Rottenberg Enrico Sarto gefragt.
Photo: Forstus
Tom Rottenberg: Enrico, der Zusammenhang zwischen dir und Fahrrädern nach Maß liegt auf der Hand: "Sarto" bedeutet im Italienischen "Schneider" - und in deinem Unternehmen in der Nähe von Venedig "schneidert" ihr tatsächlich Fahrräder? Was ist die Geschichte dahinter?
Enrico Sarto: Das Unternehmen wurde von meinem Vater gegründet, der jetzt 93 Jahre alt ist. Er kommt immer noch jeden Tag zu Besuch - er wohnt zwei Kilometer von der Fabrik entfernt.
Mein Vater begann nach dem Zweiten Krieg zusammen mit seinen beiden Brüdern mit der Herstellung von Fahrrädern. Sie arbeiteten zunächst für größere Marken, aber in den späten 50er Jahren beschlossen sie, ihre eigene Produktion zu starten.
T: Und wann kamst du dazu?
E: Ich bin in den 90er ins Business hineingewachsen. Ich habe in der Wohnung über dem Büro gewohnt, im Sommer dort geholfen... Ich war auch als Kind dort - ich kann wohl sagen, dass ich inmitten von Fahrrädern aufgewachsen bin. Als mein Vater mich fragte, ob ich das Geschäft weiterführen wolle, habe ich natürlich ja gesagt. Aber ich beschloss, das Geschäftsmodell zu verändern: Ich wollte Rahmen nach Maß machen. Zunächst aus Aluminium und Stahl, ab den späten 1990er Jahren begannen wir mit Carbon zu experimentieren.
T: Wann war dann der erste Carbon-Rahmen fertig? Erinnerst du dich noch?
E: Es war im Oktober 2002! Zeitgleich wurde meine Tochter geboren. Der Bau von Sarto Carbon-Rahmen ist also nur die zweitbeste Sache, die im Oktober 2002 entstand. (schmunzelt)
T: Das Entwerfen von maßgefertigten Rahmen ist wie Schneidern, habe ich gehört. Kannst du den Prozess beschreiben?
E: Was manche nicht wissen: Carbon wird in Blättern geliefert. Wie Leinwand. Aber ich male nicht darauf, wir formen daraus die Rohre. Da wir auch unsere eigenen Formen selbst bauen, haben wir eine enorme Vielfalt an Möglichkeiten, was Dicke, Form oder Stärke angeht. Dadurch und durch die Verwendung verschiedener Karbonfasern kann man verschiedenste Eigenschaften des Fahrrads wesentlich beeinflussen: unterschiedlichen Komfort, unterschiedliche Steifigkeit, unterschiedliches Gewicht.
T: Wie ein Schneider bei der Auswahl von Stoffen und Tüchern?
E: Ganz genau. Man kann das tatsächlich mit dem Kauf eines Anzugs oder Kleides vergleichen: Du kann zu einem großen Einzelhändler gehen - und hoffen, dass es passt. Vielleicht kann man ein paar kleine Änderungen vornehmen lassen. Aber das war's.
Oder du lässt ihn dir auf den Leib schneidern – den Anzug oder den Rahmen. Wir bauen das Fahrrad um den Kunden herum. Wir messen und schlagen vor, geben Tipps und Ideen. Aber am Ende entscheidest du selbst über jedes Detail.
Trotzdem lastet eine enorme Verantwortung auf meinen Schultern: Mein Name steht auf dem Fahrrad. Es muss passen und es muss funktionieren.
T: Wie lange dauert es dann, bis ich auf meinem eigenen Sarto sitzen kann?
E: Normalerweise drei Monate. Aber das hängt auch von der Grafik und sonstigen Wünschen ab. Davon abhängig musst du uns eventuell etwas mehr Zeit geben.
T: Ehrlich - gibt es so etwas wie das perfekte Fahrrad?
E: (überlegt) Jedes Sarto Bike ist einzigartig, für diesen speziellen Kunden - und hoffentlich ist es für ihn so nah an der Perfektion wie möglich.
T: (frech schauend) Was anderes - viele meiner Mitradler fangen mit Sarto Bikes wenig an?
E: Das stimmt. Aber die Sarto kennen, sind die Wiffen. (lacht) Nein, ganz ehrlich: Wir leben und arbeiten in einer Nische. Wir wissen das und tun das bewusst. Menschen mit einer echten Leidenschaft für Fahrräder kennen uns.
T: Es könnte helfen, ein Profi-Team auszustatten …?
E: Als wir mit der Herstellung von Rahmen begannen, haben wir tatsächlich für einige der großen Marken produziert. Auch für Fahrer und Teams bei Tour oder Giro. Vor vier Jahren haben wir dann endgültig beschlossen, nur noch Rahmen für unsere eigene Marke herzustellen. Bei diesem Spiel mitzumachen, ist für mich unmöglich: Man braucht Millionen. Riesige Fabriken - und wir müssten uns von dem wichtigsten Aspekt unserer Identität verabschieden: Die Einzigartigkeit jedes einzelnen Rahmens, der auf die Person zugeschnitten ist, die das Rad fahren wird.
Wir sind sehr stolz darauf, dass jeder Schritt dieses Prozesses in unserem Werk in Italien stattfindet. Wir sind etwa ein Dutzend engagierte Experten - und wir nehmen uns Zeit für die Entwicklung und Herstellung von Rahmen. Wenn es mal für eine individuelle Lösung zehn Minuten oder zehn Stunden länger dauert, ist das kein Problem, sondern ein Pluspunkt unserer Marke und Zeichen unserer Leidenschaft. Und die Menschen, die ein Sarto-Bike kaufen, schätzen das.
T: Bedeutet das, dass ich nach Venedig kommen muss, wenn ich ein Sarto-Bike möchte?
E: (lacht) Das kannst du gerne tun. Aber du kannst auch in die VELETAGE hier in Wien kommen. Sie nehmen Maß, besprechen Wünsche und Möglichkeiten und schicken dann die Rohdaten und Ideen an uns. Wir arbeiten im Anschluss das Konzepte und diskutieren es mit VELETAGE und dem Kunden, bis wir gemeinsam die perfekte Lösung haben.
Aber natürlich: Die Vorstellung, dass VELETAGE eine Gruppenreise von Wien nach Padua organisiert, um für alle das perfekte Rad zu entwerfen, klingt verlockend: Benvenuti!