Gravaa baut Naben, die es dir erlauben, vom Cockpit aus den Reifendruck zu steuern. Mehr Druck am Asphalt, weniger auf der Wellblechpiste oder am Kopfsteinpflaster. Mehr im dynamischen Zielsprint, weniger in der gleichmäßigen Verfolgung über groben Schotter. Aufmerksam wurde die Radwelt auf Gravaa, als Marianne Vos letztes Jahr mit dem System die Gravel World Championships gewann. Und als heuer im April das Team Visma - Lease a Bike fast geschlossen damit bei Paris- Roubaix antrat. John Zopfi, Co-CEO von Gravaa, war am 16. Juli ZU GAST IM SALON, und verriet uns im Gespräch mit Tom Rottenberg den Zauberspruch.

John Zopfi, Co-CEO von Gravaa, im Interview mit Tom Rottenberg
Tom: John, was ist die Story hinter Graava?
John: Der Gründer von Graava – Gertjan van Ginderen – lebt in Zeeland an der Nordsee. Dort gibt es Rennen, bei denen man im Sand und auf Asphalt fährt. Normalerweise mit 60-mm-Reifen und 0,5 bar Luftdruck, damit man nicht im Sand versinkt. Auf Asphalt braucht man jedoch mehr Druck. Deshalb halten sie an und verwenden CO2. Das kostet Zeit. Im Winter hat man kalte Finger. Oder die CO2-Kapsel funktioniert nicht ...
Gertjan dachte sich: Ich will ein System, das das Problem löst. Aber es gab nichts auf dem Markt. Dann folgten sieben Jahre Entwicklungsarbeit: Wir haben alles von Grund auf neu entworfen. 2023 hatten wir die ersten Tests mit Visma bei Paris-Roubaix. Christophe Laporte wurde Zehnter. Letztes Jahr entschied sich Pauline Ferrand-Prévot, mit diesem System bei der Flandern-Rundfahrt anzutreten – und wurde Zweite. Eine Woche später gewann sie mit Gravaa Paris-Roubaix.
T: Warum sollte jemand, der mit einem Rennrad unterwegs ist, während der Fahrt den Luftdruck verringern oder erhöhen?
J: Der richtige Druck hängt vom Untergrund ab, auf dem du fährst. Und dieser kann variieren, von Asphalt über Kopfsteinpflaster bis hin zu Schotter. Der optimale Reifendruck variiert auch von Fahrrad zu Fahrrad, ist abhängig von der Reifenbreite und vom Gewicht des Fahrers.
T: Auf einem Rennrad?
J: Ja. Pauline fuhr in Roubaix mit 2,1 bar auf dem Kopfsteinpflaster, auf der Straße bis zu 2,5. Nicht mehr. Mit einem Knopfdruck während der Fahrt.
T: Man muss also laufend entscheiden „Dieser Belag, dieser Untergrund – welcher Reifendruck?“ Das klingt kompliziert.
J: Weil man es nicht gewohnt ist: Überlegst du bewusst „welchen Gang brauche ich“, oder schaltest du einfach? Man drückt nach rechts: Die Pumpe beginnt zu pumpen. Man drückt nach links: Luft wird abgelassen. An beiden Reifen.
T: Klingt nach Harry Potter: Aerio! Und mein Reifen wird aufgepumpt. (lacht)
J: (lacht)Nein! Gravaa! lautet der Zauberspruch.
Ernsthaft: In jeder Nabe befinden sich drei Pumpen – und eine Kupplung. Die Kupplung aktiviert oder deaktiviert das System. Entweder per Knopfdruck – oder automatisch. Das sich drehende Rad ist der Motor. Es gibt keine Batterien – außer für die Bluetooth-Verbindung. Sobald das Fahrrad fährt, kann man das System aktivieren. Wenn man nicht pumpt, ist der Widerstand gleich Null. Wenn man bis zu vier Bar pro Rad pumpt: Man spürt es nicht.
Du kannst bis zu 10 verschiedene Druckeinstellungen vornehmen – oder manuell arbeiten.
T: Aber macht das wirklich so einen großen Unterschied?
J: Auf jeden Fall! 0,2 Bar spürt man deutlich.
T: Kann ich auch tubeless fahren?
J: Ja. Unsere Profis fahren tubeless. Wir benötigen jedoch einen speziellen Filter, der verhindert, dass das Dichtmittel in das System gelangt. Wenn Dichtmittel in die Pumpe gelangt, ist es vorbei. Die Herausforderung für uns: Dichtmittel dient dazu, Löcher zu verschließen. Und ein Filter besteht aus Löchern: Das ist der Grund, warum es noch nicht auf dem Markt ist: Die Haltbarkeit unseres Filters ist für den Massenmarkt zu gering: Profis ist das egal – aber du willst den Filter nicht nach jeder Fahrt wechseln. Sobald wir dieses Problem gelöst haben, wird das Upgrade für alle unsere Kunden kostenlos sein.
T: Auf eurer Website steht, dass man durch Druckentlastung auf Kopfsteinpflaster 50 Watt sparen kann. So viel?
J: Für einen Pro ist das möglich – natürlich hängt es davon ab, wie stark du bist. Wie kann man das messen? Du suchst dir eine Strecke und fährst mit vier Bar, gleichmäßig 30km/h. Dann mit 3 Bar, schließlich mit zwei. Dein Power Meter wird dir bescheinigen, dass du weniger Leistung brauchst. Oder du immer schneller wirst.


T: Du sagst, das System misst den Druck während der Fahrt. Hilft mir das bei Reifenpannen?
J: Ja, das ist das Schöne daran. Wenn du eine kleine Reifenpanne hast, aktiviert das System automatisch die Pumpe, bis der Reifendruck wieder auf dem voreingestellten Wert ist. Entweder verschließt das Dichtmittel das Loch oder die Pumpe arbeitet, bis du zuhause bist.
Bei Paris-Roubaix hatten sechs Fahrer Reifenpannen. Zwei mussten das Rad wechseln. Aber vier der sechs konnten weiterfahren – dank unseres Systems. So hat Mariane Vos die Gravel-Weltmeisterschaft gewonnen. Sie hatte drei Kilometer vor dem Ziel eine Reifenpanne. Der Reifen verlor bis auf 0,5 bar Druck, dann wirkte das Dichtmittel und schloss die Lücke. Der Druck stieg – und sie gewann.
T: Ich muss doch noch ein Haar in der Suppe finden (lacht) Also: Alle versuchen, Gewicht zu reduzieren – und ihr fügt 500 Gramm hinzu?
J: Weil die Vorteile die Gewichtsnachteile überwiegen. Du bist schneller, fährst komfortabler und ermüdest daher weniger schnell. Und bist sicherer vor Reifenpannen.
T: Auf eurer Homepage steht, dass ich keine Pumpe mehr brauche. Im Ernst? Ich drehe das Rad und die Pumpe funktioniert – sogar zu Hause?
J: Technisch gesehen: Ja. Aber wenn der Reifen komplett leer und von der Felge gelöst ist, brauchen wir Druck, um ihn wieder aufzuziehen. Dafür braucht man CO2 oder eine Pumpe. Aber wenn der Reifen auf der Felge ist, kann man ihn tatsächlich einfach drehen, bis er wieder den perfekten Druck hat.
T: Zu welchem Preis?
J: Die Preise für unsere vorgefertigten Laufradsätze beginnen bei unter 4.000 Euro. Aber VELETAGE ist einer von aktuell nur zwei Laufradbauern weltweit, die maßgeschneiderte Laufradsätze mit Felgen, Speichen usw. nach Wahl des Kunden bauen dürfen. VONHAND, wie sie es nennen – richtig, Josh? Ich nehme an, ein Laufradsatz mit ENVE-Felgen wird etwas teurer sein (lächelt).
T: Inklusive Schalter, Software & Co?
J: Ja, natürlich. Den Druck siehst du entweder auf deinem Smartphone, wo du in der App Voreinstellungen festlegen kannst, oder auf deinem Radcomputer. Das ist alles im Lieferumfang enthalten.
T: Letzte Frage: Es gibt noch keine Konkurrenz, oder? Wann wird sie kommen?
J: Nein, es gibt keine Mitbewerber: Wir haben Patente auf alles. Wenn also jemand das kopiert, nun ja ... Ich glaube nicht, dass in den nächsten Jahren ein Konkurrent auftauchen wird: SRAM oder Shimano wissen um die Komplexität des Konzepts und wollen sich nicht die Finger verbrennen. Wir arbeiten zusammen und ich hoffe, dass wir in naher Zukunft die Schalter an ihren Bremsen verwenden können.
T: Aber lohnt es sich, ein Trendsetter zu sein – oder wäre es klüger, abzuwarten? Ich möchte kein Beta-Tester sein.
J: Wir haben sieben Jahre daran gearbeitet und es funktioniert. Sonst würden Profis es nicht verwenden. Unsere Kunden sind keine Beta-Tester.
Das Produkt ist fertig und stabil – und es gibt eine 100.000-km-Garantie. Intern ist das System wartungsfrei.. Extern handelt es sich um eine normales DT Swiss Nabe. (Man hört Josh im Hintergrund tief seufzen)
T: Josh, du hast das Haar in der Suppe gefunden? (lacht)
J: Natürlich kannst du warten – und hoffen, dass es in Zukunft günstiger wird. Aber wir müssen vorher mindestens 10.000 Radsätze verkaufen. Das kann eine Weile dauern. Wir fangen buchstäblich gerade erst an. Wir versprechen dir: Du wirst nicht nur ein Vorreiter sein, sondern auch bei jeder Ausfahrt ganz vorne!